LENINS IMPERIALISMUSTHEORIE UND DIE SPALTUNG DES SOZIALISMUS
TEIL 1: Der Imperialismus
Im am 6. Juli 1920 geschriebenen Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe seines im Frühjahr 1916 in Zürich geschriebenen ökonomischen Hauptwerkes ‚Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus‘ spricht Lenin von der „ungeheuren Kompliziertheit der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens“. 1. Am Ende seines Hauptwerkes wirft Lenin den bürgerlichen Ökonomen vor, nicht das Wesen des Imperialismus aufgetan zu haben , da sie in ihren Werken sklavisch Chaotisches kopierten. 2. Nimmt man ein Drittes von Lenin hinzu, dass die Menschen in der Politik stets die „einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug“3. gewesen sind und noch sind, so kann man die geniale Leistung Lenins ermessen, um die Jahrhundertwende die neuen Erscheinungsformen des Kapitalismus, der sich aus dem freien Konkurrenzkapialismus zum Monopolkapitalismus entwickelt hatte, wissenschaftlich bestimmt und in ihrem Zusammenhang aufgezeigt zu haben. Damit hatte Lenin dem 20. Jahrhundert dessen ökonomische Basis entwickelt und mit Bewußtsein dargelegt, diese zugleich auch gegen die des 19. Jahrhundert, in dem der klassische Konkurrenzkapitalismus vorlag, kontrastiert.
Man wird durch eine tägliche Zeitungslektüre noch kein Politiker, der sich und andere betrügt, schon gar nicht ein Gesellschaftswissenschaftler. Dem Pressemann, der für seine Gläubigen das Chaotische an der Oberfläche des Spätkapitaismus abbildet, es etwas besser als sie abbildet, wird das Wesen seiner Epoche, das Wesen des Finanzkapitalismus, das monopolistiche Stadium des Kapitalismus verschlossen bleiben. Er richtet die Leserinnen und Leser ab, das Beschauen ihres eigenen Nabels als weltpolitischen Akt auffassen zu lassen. Der Knoten der Gesellschaftswissenschaften liegt darin, dass es sehr schwiering ist, die gesellschaftliche Wirklichkeit und die in ihr wirkende Gesetzmäßigkeit theoretisch richtig widerzuspiegeln, und fast jeder Zeitgenosse politische Mündigkeit dadurch unter Beweis stellen zu müssen meint, dass er, so wie er geht und steht, drauflos politisiert, den ‚Stein der Weisen‘ schon in der Tasche zu haben glaubt, auch wie sie so eine Idee entwickeln zu können, ohne die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft präsent zu haben, überhaupt von ihr jemals gehört zu haben. Mit dem Anhäufen von Zeitungs- und Lexikawissen allein verliert man noch nicht den Status einer Klatschbase, die sich in sog. Talk-Shows prostituiert, in denen immer derselbe Brei aufgekocht wird. Es sind nur wenige Politikwissenschaftler, die bei der Entwicklung der Idee ihrer Wissenschaft nicht fehlten. Lenin warnte uns, sich völlig mit den Massen zu verschmelzen, sondern nur bis zu einem gewissen Grad, denn die Masse wird aus Monaden gebildet, die nur das Chaos auf der Weltoberfäche unzulänglich kopieren.
Exkurs: In Deutschland irrt ein Doktor der Philosophie umher, der auf den Namen Robert Habeck hört. Der hat in Freiburg i. Br. und Hamburg Philosophie studiert – und mit welchem Ergebnis? „Politik ist eine Beziehung zur Welt. Sie macht aus einer Reihe von subjektiven Erfahrungen objektive Tatsachen. Sie verallgemeinert. Das ist ihr Spannungsbogen und ihr Sinn. Was man sich allein denkt und vornimmt, wird in einer Demokratie durch die Gruppe Wirklichkeit“. 4. Das ist schon als kindlich-naiv zu bezeichnen. Politik macht aus Erfahrungen Tatsachen, aus Subjektivem Objektives. Der Grundirrtum dieses Philosophen besteht darin, dass er sich selbst als Nabel der Politik prostituiert, wie denn auch sein Buch ‚Wer wagt, beginnt‘ den Untertitel trägt: ‚Die Politik und ich‘. Ich politisiere, also bin ich. In der Politik geht es am allerwenigsten um Robert Habeck. Lenin lehrte uns: „Jedermann weiß, daß die Massen sich in Klassen teilen, … daß die Klassen gewöhnlich und in den meisten Fällen, wenigstens in den modernen zivilisierten Ländern von politischen Parteien geführt werden; daß die politischen Parteien in der Regel von mehr oder minder stabilen Gruppen der autoritativsten , einfußreichsten, erfahrensten , auf die verantwortungsvollstenPosten gestellten Personen geleitet werden, die man Führer nennt. Das alles sind Binsenweisheiten. Das alles ist einfach und klar“. 5. Politik ist der Kampf dieser Parteien um die Macht im Staat, wer die politische Macht hat, das entscheidet in der bürgerlichen Gesellschaft alles. Das ist einfach und klar, offensichtlich nicht für den Philosophen Habeck, der zudem noch die bügerliche Demokratie beschönigt, die im Grunde Anwendung staatlicher Gewalt beinhaltet, in der bürgerliche Gesellschaft nur eine Demokratie für die Reichen ist, ein Werkzeug in der Hand der aus dem Wahlkampf als Sieger hervorgehenden Politiker ist, das Volk auszubeuten. (Ende des Exkurses).
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte sich der klassische Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus entwickelt, war das Monopol aus der Konkurrenz herausgewachsen. Es musste erst zu dieser Ausprägung des Kapitalismus gekommen sein, um eine umfassende Imperialismusanalyse erbringen zu können, Marx hatte zwar einige Konturen eines anderen, höher entwickelten Kapitalismus gesehen, so zum Beispiel die Tatsache, dass mit den Banken“die Form einer allgemeinen Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben“ sei, „aber auch nur die Form“. 6. Aber eine Wesensbestimmung des Imperialismus konnten Marx und auch Engels, der Marx zwölf Jahre überlebte und 1895 verstarb, noch nicht erbringen, weil es zu ihren Lebzeiten einen ausgeprägten Imperialismus noch nicht gegeben hatte. Die Zeit war noch nicht reif, es gab nur Konturen, keine Gestalt. Aber 2016, 16 Jahre nach seiner Geburt, lag Lenin der erwachsen gewordene Imperialismus mit einem Weltkrieg im Gepäck vor und er konnte zum genialen Fortsetzter des ökonomischen Hauptwerks von Marx werden. Jede Beschäftigung mit dem ‚Kapital‘ von Marx, will man sich nicht mit einem Torso oder mit einer Analyse der Ökonomie des 19. Jahrhunderts begnügen, hat heute mit Lenin zu beginnen und mit Lenin zu enden.
Der Imperialismus ist keine autonome ökonomische Gesellschaftsformation, er gehört zum Kapitalismus, er ist nur ein besonderes, das höchste Stadium des Kapitalismus, zwar ein Übergangskapitalismus, aber der Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung wird in ihm nicht aufgehoben, sondern vielmehr ins Extrem gesteigert. DAS WESEN DES IMPERIALISMUS IST DER ÜBERGANG AUS DER FREIEN KONKURRENZ INS MONOPOL. Dabei wird die freie Konkurrenz nie ganz beseitigt, sie ist aber wesentlich in ihr Gegenteil, ins Monopol umgeschlagen. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert hatten nun die kapitalistischen Monopole in der Volkswirtschaft und Politik den ersten Platz eingenommen. Diesen ökonomischen Grundzug gilt es zur Gegenwart zu bringen, zugleich auch den politischen Grundzug, der mit dem Imperialismus verbunden ist, die Spaltung des Sozialismus. Beschränken wir uns zunächst auf die Ökonomie und führen wir das Wesen des Imperialismus, den Umschlag der freien Konkurrenz ins Monopol, noch etwas näher aus. Das Monopol ist bereits sterbender Kapitalismus, denn es bedeutet das Ende der Konkurrenz, zugleich den Übergang in eine höhere Form, den Sozialismus. Der Übergang zum Sozialismus erfolgt aus einem besonderen Kapitalismus, aus seinem höchsten Stadium. Der Imperialismus kann deshalb auch als Übergangskapitalismus bestimmt werden oder als die Herrschaft des Finanzkapitals. Wie das? Das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist das des Finanzkapitals, denn eine Monopolisierung ist sowohl in der Produktion als auch im Bankwesen zu verfolgen. Man spricht von einer Konzentration der Produktion und vom Terrorismus der Großbanken, die sich das Industriekapital völlig unterworfen haben. Das Industriekapital verliert an Bedeutung und wird schließlich vom Finanzkapital dominiert. Dieses ist in wenigen monopolistischen Großbanken konzentriert und verschmilzt mit wenigen monopolistischen Industrieverbänden, so dass es zur Herausbildung einer Bourgeoisie mit ausgesprochen reaktionären Zügen kommen kann. So hat der Anfang des 20. Jahrhundert ein anderes ökonomische Gesicht als das Ende des 19. Jahrhundert. Das Finanzkapital wirft seine Netze über alle Länder der Erde und es versteht sich von selbst, dass in diesem Netz der Kapitalexport gegenüber dem Warenexport bereits eine dominante Position eigenommen hat. War im 19. Jahrhundert im klassischen Konkurrenzkapitalismus die Rolle des Vermittlers noch dem Kaufmann zugekommen, so tritt im 20. Jahrhundert der Finanzmann an dessen Stelle. Der deutsche Ökonom Kestner spricht 1914 von einem spekulativen Genie, das jetzt gefragt ist, weil es in der Lage ist, die Beziehungen zwischen den einzelnen internationalen Monopolverbänden, vor allem aber deren Beziehungen zu den Trusts der Großbanken herauszufühlen. Das Spekulative zieht mit mit der Konzentration der Produktion und deren technischen Vervollkommnung als das im Prozessvollzug zunehmender Verobjektivierung der Arbeitsprozesse unausrottbare subjektive Moment. Industriekapital und Bankkapital verschmelzen immer mehr zum Finanzkapital, das das vor Kraft nur so strotzende Kind dieser Vereinigung ist. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war das Interesse der führenden Industrienationen an Kolonien nicht sonderlich groß, Disraeli sprach 1852 von ihnen als von Mühlsteinen am Halse Englands, auch hier schlug alles ins Gegenteil um, Cecil Rhodes forderte 1895 vehement eine Vergrößerung des ohnehin schon großen britischen Kolonialbesitzes. Die imperialistischen Industriestaaten wurden zu regelrechten Gläubigerstaaten.
MONOPOL FINANZKAPITAL KAPITALEXPORT – das sind die Schlüsselbegriffe der Ökonomie in dem Umschlag des klassischen Kapitalismus in den modernen. Ich habe oben die Makrostrukturen der klassischen Ökonomie und der modernen angegeben, ohne die weder das 19. noch das 20. Jahrhundert in ihrer ökonomischen Substanz erfasst werden können. Indem Lenin die ökonomische Megastruktur des Imperialismus entfaltet, was ohne Verbindung mit der Ökonomie des 19. Jahrhunderts und im Kontrast zu ihr nicht möglich ist, beleuchtet er den klassischen ökonomischen Prozess des 19. Jahrhunderts zugleich im Licht des 20. Eine retrospektive Lektüre Lenins zum Studium des klassischen Kapitalismus ist und bleibt angesagt.
Gehen wir jetzt mehr ins Detail und wenden uns den Hauptformen des Monopolismus zu:
– Die Konzentration der Produktion
– Die Konzentration der Produktion hat zur Bildung von Kartellen, Syndikaten und Trusts geführt. 1907 waren in Deutschland in 0,9 % der Fabriken, es handelt sich hier ausschließlich um Großbetriebe, 57 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt, das waren 39,4 % von 144 Millionen. „Einige zehntausend Großbetriebe sind alles, Millionen von Kleinbetrieben sind nichts“. 7. Die Vergesellschaftung der Produktion hat ungeheure Ausmaße angenommen. Zehntausende von Arbeitern werden in Werkskolonien kaserniert und diese Großbetriebe haben eigene Bahnen und Häfen. Die Konzentration, sagt Lenin, führt dicht an das Monopol heran. Die Verwandlung der Konkurrenz zum Monopol ist eine der wichtigsten Erscheinungen -wenn nicht die wichtigste- in der Ökonomik des modernen Kapitalismus. 1904 schreibt der deutsche Ökonom Heymann: „Der einzelne Betrieb wird stetig größer; immer mehr Betriebe der gleichen oder verschiedener Art ballen sich zu Riesenunternehmungen zusammen, die in einem halben Dutzend Berliner Großbanken ihre Stützen und ihre Leiter finden. Für die Montanindustrie ist die Richtigkeit der Konzentrationslehre von Karl Marx exakt nachgewiesen …Die Montanindustrie Deutschlands ist reif zur Expropriation .“ 8. Im 19. Jahrhundert ließen sich die industriellen Unternehmer“persöhnlichkeiten“ noch nicht von großen Banken leiten, auch waren die zersplitterten Einzelunternehmen noch nicht reif zur Expropriation auf hoher gesellschaftlicher Stufenleiter.
– Die neue Rolle der Banken
– Eine ähnliche Konzentrationsentwicklung wie in der Produktion können wir auch im Bankwesen beobachten, die Kleinbanken werden verdrängt, noch lieber zu Zweigstellen der Großbanken degradiert. Die grundlegende Operation im Bankengewerbe ist die Zahlungsvermittlung. Brachliegendes Kapital soll in funktionierendes verwandelt werden. Die Banken haben sich aber aus bescheidenen Vermittlern zu allseitigen Monopolinhabern verwandelt. Ein Industrieller legt ein Konto an, die Bank kann seine Kapitalbewegungen verfolgen, sammelt Informationen über ihn und verfügt am Ende über die Kreditwürdigkeit. 1912/13 verfügten neun Berliner Großbanken über 49 % aller Einlagen und 83 % des gesamten Bankkapitals. Es springt in die Augen, dass man bei 83 % bereits über die Rolle des kleinen Vermittlers hinaus ist, im Gegenteil, die Großbanken sind schicksalsbestimmend für die ganze Volkswirtschaft geworden. Man spricht deshalb auch vom ‚Terrorismus der Banken‘. Bereits 1901 kann dafür ein Beleg angeführt werden. Es handelt sich um eine Passage aus einem Brief einer großen Berliner Bank an den Vorstand des nordwestmitteldeutschen Zementsyndikats. „Nach der im Reichsanzeiger vom 18. cr. veröffentlichten Bekanntmachung Ihrer Gesellschaft müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß in der am 30. des Monats stattfindenden Generalversammlung Beschlüsse gefaßt werden, die geeignet sein können, Veränderungen uns nicht genehmer Art in ihrem Geschäftsbetrieb herbeizuführen. Aus diesem Grunde müssen wir zu unserem lebhaften Bedauern den Ihnen eingeräumten Kredit hiermit zurückziehen … Wenn indes in der angegeben Generalversammlung nichts beschlossen wird, was uns nicht genehm ist, … so erklären wir uns gern bereit, wegen Gewährung eines neuen Kredits mit ihnen in Verhandlung zu treten“. 9. Man kann also mit der Kreditpeitsche drohen, jedenfalls haben wir einen eindeutigen Beleg vor uns, wie sehr das industrielle Kapital dem Bankkapital bereits ausgeliefert ist. Das kleine Kapital klagt hier gegen das Großkapital, nur auf unvergleichlich höherer Stufenleiter. Immer mehr können wir ein aktives Eingreifen der Großbanken in die Gesamtentwicklung der Industrie verfolgen sowie eine Herausbildung einer Personalunion zwischen Bankkapital und Industriekapital. Bankdirektoren treten in Vorstände der Großbetriebe ein und vice versa. Bankkapital und Industriekapital verbinden sich, „verwachsen“, wie Bucharin treffend sagt. Und dieses Finanzkapital beginnt jetzt zusammen mit den internationalen Trusts die Inbesitznahme von Rohstoffquellen. Rohstoffe werden besonders wichtig im Imperialismus. Die grundlegende Besonderheit des modernen Kapitalismus ist die Herrschaft der Monopolverbände der Großunternehmer. Diese sind am festesten, wenn alle Rohstoffquellen in einer Hand zusammengefasst werden.Marx hatte bereits im Kapitel über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation auf die Keckheit und kriminelle Energie des Kapitals verwiesen. Dass es ängstlicher Natur ist, ist zwar wahr, aber nicht die ganze Wahrheit, für 300 % Profit riskiere es jedes Verbrechen, selbst auf Gefahr des Galgens. 10. Im Imperialismus steigert sich dies alles, die Korruption wird ins Quadarat erhoben. „Korruption, Bestechung im Riesenausmaß, Panamaskandale jeder Art“. 11. Das hat Lenin 1916 geschrieben. Und gab es nicht auch 2016 einen Panamaskandal?
– Finanzkapital und Finanzoligarchie
1910 verfügten Deutschland, England, Frankreich und die USA über 80 % des Weltfinanzkapitals, nimmt man noch Russland hinzu, so verfügten diese fünf Länder auch über 80 % des Eisenbahnnetzes. Es ist ein internationales Netz entstanden und es liegt auf der Hand, dass in diesem Netz nicht mehr die Warenproduktion ausschlaggebend ist, sondern der Kapitalexport. FINANZKAPITAL IST KAPITAL IN DER VERFÜGUNG DER BANKEN UND IN DER ANWENDUNG VON INDUSTRIELLEN. Die Bank wird in immer größeren Umfang industrieller Kapitalist. 1908 erschien in Frankreich ein Buch von Lysis ‚Gegen die Finanzoloigarchie in Frankreich‘. Das Kapital, das als kleines Wucherkapital begonnen hat, ruft er aus, beendet seine Entwicklung als riesiges Wucherkapital. „DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK IST EINE FINANZMONARCHIE, DIE VOLLE HERRSCHAFT DER FINANZOLIGARCHIE. SIE HERRSCHT UNUMSCHRÄNKT ÜBER PRESSE UND REGIERUNG“.12.
– Warenexport
Es ist ein großer Kapitalüberschuss in den sog. fortgeschrittenen imperialistischen Ländern entstanden. Geldkapital ist in wenigen Ländern angehäuft worden und eine Schicht von ‚Rentnern‘ entstanden, die den Müßiggang zum Beruf gemacht haben. Um die Profite dieses Geldkapitals zu steigern, darf das Geld keineswegs im Inneren Verwendung zur Hebung des Lebensniveaus der Volksmassen finden. Der Überschuss wird ins Ausland geleitet, insbesondere in rückständige Länder. In diesen wird das Geldkapital angelockt durch billige Arbeitskräfte, wenig eigenes nationales Konkurrenzkapital, niedrige Bodenpreise und billige Rohstoffe. Dieser Kapitalexport beschleunigt natürlich die kapitalistische Entwicklung in den zurückgebliebenen Ländern, die an die Schwelle geführt werden, an der sie bei den imperialistischen Großbanken Kredite aufnehmen müssen, an denen Auflagen geknüpft sind, zum Beispiel die, von der Anleihe bestimmte Produkte der Geberländer erwerben zu müssen, meistens Waffen und Schiffe. So wird der Kapitalexport ein Mittel, den Warenexport zu fördern. Das Finanzkapital wirft seine Netze über alle Länder aus und man muss unterscheiden zwischen der ökonomischen Aufteilung der Welt unter den internationalen Kapitalistenverbände, die um 1900 gerade beginnt, und der territoralen Aufteilung der Welt unter die Großmächte, die um 1900 gerade abgeschlossen ist. Beide Prozesse hängen zusammen und verlaufen nebeneinander.
– Die Aufteilung der Welt unter die internationalen Kapitalistenverbände
Wir sind Zeuge einer Internationalisierung des Kapitals geworden. Es ist eine neue Stufe in der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion erreicht. Man nehme nur den Vertrag, den die AEG und die General Electric Company 1907 über die Aufteilung der Welt geschlossen haben, als es auf der ganzen Welt keine mehr von ihnen unabhängige Elektromächte gab. „Und nun schließen 1907 der amerikanische und der deutsche Trust einen Vertrag über die Aufteilung der Welt. Die Konkurrenz wird ausgeschaltet. Die GEC ‚erhält‘ die Vereinigten Staaten und Kanada; der AEG werden Deutschland, Österreich, Rußland, Holland, Dänemark, die Schweiz, die Türkei und der Balkan ‚zugeteilt‘. Besondere – natürlich geheime – Verträge werden über die ‚Tochtergesellschaften‘ abgeschlossen, die in neue Industriezweige und in ’neue‘, formell noch unverteilte Länder eindringen. Erfindungen und Erfahrungen werden gegenseitig ausgetauscht. Man versteht ohne weiteres, wie schwierig die Konkurrenz gegen diesen faktisch einheitlichen, die gesamte Welt umspannenden Trust ist, der über ein Kapital von mehreren Milliarden verfügt und seine ‚Niederlassungen‘, Vertretungen, Agenturen, Verbindungen usw. an allen Ecken und Enden der Welt hat“. 13. Nur darf man daraus keinen Ultra-Imperialismus konstruieren, als könne nach Kautsky ein globaler Trust den Weltfrieden sichern. Eine Neuaufteilung der Welt ergibt sich im Imperialismus zwangsläufig und geteilt werden kann nur nach der Macht des Kapitals. Kriege sind dem Wesen des Imperialismus inhärent.
– Die Aufteilung der Welt unter die Großmächte
Um 1900 gibt es kein herrenloses Land mehr, die Welt ist zum ersten Mal aufgeteilt. Die Fieberjagd nach Kolonien, die 1885 begann, ist um 1900 abgeschlossen. Disraeli wollte 1852 Kolonien am liebsten loswerden, aber schon 1895 verfolgte Cecil Rhodes das Gegenteil: „Ich war gestern im Ostende von London (Arbeiterviertel) und besuchte eine Arbeitslosenversammlung. Und als ich nach den dort gehörten wilden Reden, die nur ein Schrei nach Brot waren, nach Hause ging, da war ich von der Wichtigkeit des Imperialismus mehr denn je überzeugt … Meine große Idee ist die Lösung des sozialen Problems, d. h. um die vierzig MillionenEinwohner des Vereinigten Königsreichs vor einem mörderischen Bürgerkrieg zu schützen, müssen wir Kolonialpolitiker neue Ländereien erschließen, um den Überschuß an Bevölkerung aufzunehmen, und neue Absatzgebiete schaffen für die Waren, die sie in ihren Fabriken und Minen erzeugen. Das Empire, das habe ich stets gesagt, ist eine Magenfrage. Wenn sie den Bürgerkrieg nicht wollen, müssen sie Imperialisten werden“. 14.
– Lenins Zusammenfassung:
„Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Fianzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist“. 15.
Teil 2: Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus
Um die historische Notwendigkeit der Spaltung des Sozialismus im 20. Jahrhundert zu entwickeln, ist es zweckdienlich, sich mit der Bestimmung des Imperialismus auseinanderzusetzen, die Kautsky uns gibt: „Der Imperialismus ist ein Produkt des hochentwickelten industriellen Kapitalismus. Er besteht in dem Drange jeder industriellen kapitalistischen Nation, sich ein immer größeres agrarisches Gebiet zu unterwerfen und anzugliedern …“ 16. Die Untauglichkeit dieser Bestimmung fällt sofort in die Augen. Erstens ist der Imperialismus ein Produkt des Finanzkapitals und zweitens strebt eine imperialistische Nation nicht nur nach Agrargebieten, sondern nach beliebigen Ländern. Nicht von ungefähr führt Lenin gegen Kautsky den englischen Ökonomen J.A. Hobson ins Feld, dem trotz pazifistischer und liberaler Vorurteile tiefere Einsichten in das Wesen des Imperialismus und seiner Widersprüche gelungen sei als dem ‚Marxisten‘ Kautsky. 1902 erscheint in London und New York Hobsons Hauptwerk ‚Imperialism‘. Zwei Umstände sind es nach Hobson, die zur Schwächung der alten Imperien beigetragen haben: Erstens ‚ökonomischer Parasitismus‘ und zweitens das Aufstellen von Eingeborenenarmeen unter britischen Kommando. Anlässlich der damaligen Überlegungen der imperialistischen Länder, China aufzuteilen, entwirft Hobson ein Panorama, wie es in Westeuropa nach dieser Aufteilung aussehen könnte: „Der größte Teil Westeuropas könnte dann das Aussehen und den Charakter annehmen, die einige Gegenden in Südengland, an der Revieira sowie in den von Touristen am meisten besuchten und von reichen Leuten bewohnten Teilen Italiens und der Schweiz bereits haben: ein Häuflein reicher Aristokraten, die Dividenden und Pensionen aus dem Fernen Osten beziehen, mit einer etwas größeren Gruppe von Angestellten und Händlern und einer noch größeren Anzahl von Dienstboten und Arbeitern im Transportgewerbe und in den letzten Stadien der Produktion leicht verderblicher Waren; die wichtigsten Industrien wären verschwunden, die Lebensmittel und die Industriefabrikate für den Massenkonsum würden als Tribut aus Asien und Afrika kommen“.“Wir haben die Möglichkeit einer noch umfassenderen Vereinigung der westlichen Länder angedeutet, eine europäische Föderation der Großmächte, die, weit entfernt, die Sache der Weltzivilisation voranzubringen, die ungeheure Gefahr eines westlichen Parasitismus heraufbeschwören könnte, eine Gruppe fortgeschrittener Industrienationen, deren obere Klassen aus Asien und Afrika gewaltige Tribute beziehen und mit Hilfe dieser Tribute große Massen gefügiges Personal unterhalten, die nicht mehr in der Produktion von landwirtschaftlichen und industriellen Massenerzeugnissen, sondern mit persönlichen Dienstleistungen oder untergeordneter Industriearbeit unter der Kontrolle einer neuen Finanzaristokratie beschäftigt werden“. 17. Der Imperialismus hat die Tendenz, auch unter den Arbeitern privilegierte Kategorien aus- und sie von der großen Masse abzusondern. Im Imperialismus entsteht sowohl eine Finanz- als auch eine Arbeiteraristokratie, denn er schafft die Möglichkeit, einen Extraprofit zu erwirtschaften, d.h. einen „Profitüberschuß über den in der ganzen Welt üblichen, normalen Profit“ 18., um so ökonomisch die Bestechung der Minderheit der Oberschicht des Proletariats zu ermöglichen. Durch den Extraprofit bereichert sich die herrschende Klasse und, so Hobson, sie erkauft sich „die Fügsamkeit seiner unteren Klassen durch Bestechung“. 19. Dieser ökonomische Zusammenhang ist die tiefste Wurzel der Verbindung zwischen der imperialistischen Bourgeoisie und den Opportunisten, ist die tiefste Wurzel der Spaltung des Sozialismus. Es kommt zwangsläufig zur Auswicklung von zwei Tendenzen in der Arbeiterbewegung. „Einzelne von den jetzigen sozialchauvinistischen Führern mögen zum Proletariat zurückkehren. Aber die sozialchauvinistische oder (was dasselbe ist) opportunistische Strömung kann weder verschwinden nochzum revolutionären Proletariat ‚zurückkehren“. 20. Die Spaltung des Sozialismus ist unter imperialistischen Bedingungen eine historische Gesetzmäßigkeit. Eigentümlich ist nun, dass diese Spaltung schon unter präimperilistischen Bedingungen zu beobachten war, unter kolonialen, auch nur in einem Land, in England. Nur in England hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine dünne Schicht von Arbeiteraristokraten herausgebildet. Marx und Engels verfolgten diesen Prozess der Verbürgerlichung von Teilen der englischen Arbeiterbewegung durch Englands Kolonialmonopol. In einem Brief an Marx vom 7. Oktober 1858 schrieb Engels, dass das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert, „so daß diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen. Bei einer Nation, die die ganze Welt expolitiert, ist das allerdings gewissermaßen gerechtfertigt“. In einem Brief von Engels, geschrieben am 19. April 1890 lesen wir: „… die Bewegung (der Arbeiterklasse in England) geht unter der Oberfläche fort, ergreift immer breitere Schichten und gerade meist unter der bisher stagnierenden untersten Masse und der Tag ist nicht mehr fern , wo diese Masse plötzlich sich selbst findet, wo es ihr aufleuchtet, daß sie diese kolossale sich bewegende Masse ist“. Im Vorwort zur zweiten Auflage der ‚Lage der arbeitenden Klasse in England‘ fällt 1892 das Wort ‚Arbeiteraristokratie‘ und im gleichen Vorwort betont Engels die Notwendigkeit, sich auf die Organisationen ungelernter Arbeiter zu konzentrieren, da sie noch frei von bürgerlichen Vorurteilen seien. Was im 19. Jahrhundert nur für England als Ausnahme galt, das ist nach 1900 zur Regel für alle fortgeschrittenen Industrienationen geworden: sie alle verfügen jetzt über Kolonien und Extraprofite. In seiner Kritik des imperialistischen Opportunismus im 20. Jahrhundert konnte Lenin daher auf die Kritik von Marx und Engels am spezifischen Opportunismus der englischen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert zurückgreifen.
Kautsky übersieht bewußt die Bedeutung des imperialistischen Kolonialmonopols, das ab 1900 nicht länger auf England beschränkt blieb. Er gründet seine Friedenshoffnung allein auf die Tatsache, dass das engliche Industriemonopol längst gebrochen sei. Durch diesen Bruch gäbe es nichts mehr, „worum Krieg zu führen wäre“. Die Quelle des Krieges liegt aber woanders – gerade im Kolonialmonopol, das sich außerordentlich verstärkt hat. Also gibt es heute nicht nur etwas, worum die kapitalistischen Länder Krieg zu führen haben (um die Neuaufteilung der Welt), „sondern sie können auch nicht anders, sie müssen Krieg führen, wenn sie den Kapitalismus erhalten wollen, denn ohne eine gewaltsame Neuverteilung der Kolonien können die neuen imperialistischen Länder nicht die Privilegien erlangen, die die älteren (und weniger starken) imperialistischen Länder genießen“. 21. Die opportunistische Strömung in der Arbeiterbewegung strebt nach Privilegien und bildet sich zu einer Arbeiteraristokratie heraus, deren Kennzeichen sowohl ökonomische als auch politische Privilegien sind: bessere Arbeitsplätze, höhere Bezahlung, Extrazahlungen, Büroposten, Posten im Parlament, im Industriekomitee, in verschiedenen Kommissionen. Politische Privilegien bilden sich aus den ökonomischen zu einem ganzen System heraus. „Die Mechanik der politischen Demokratie wirkt in der gleichen Richtung. Ohne Wahlen geht es in unserem Zeitalter nich; ohne die Massen kommt man nicht aus, die Massen aber können im Zeitalter des Buchdrucks und des Parlamentarismus nicht geführt werden ohne ein weitverzweigtes, systematisch angewandtes, solide ausgerüstetes System von Schmeichelei, Lüge, Gaunerei, das mit populären Modeschlagworten jongliert, den Arbeitern alles mögliche, beliebige Reformen und beliebige Wohltaten verspricht – wenn diese nur auf den revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie verzichten. Ich möchte dieses System Lloyd- Georgeismus nennen, nach einem der maßgebendsten und geschicktesten Vertreter dieses Systems in dem klassischen Land der ‚bürgerlichen Arbeiterpartei‘, nach dem englischen Minister Lloyd-George“. 22. Durch die Arbeiteraristokratie hat die Bourgeoisie die Gelegenheit, ständig bürgerliche Ideologie in die Arbeiterbewegung fließen zu lassen.
Vor der sozialistischen Revolution werden weder die opportunistischen Parteien verschwinden noch die opportunistischen Strömungen versiegen. „Wir haben nicht den geringsten Grund zu der Annahme, daß diese Parteien vor der sozialen Revolution verschwinden können. Im Gegenteil, je näher wir dieser Revolution sein werden, je machtvoller sie entbrennen wird, je schroffer und heftiger die Übergänge und Sprünge im Prozeß der Revolution sein werden, eine um so größere Rolle wird in der Arbeiterbewegung der Kampf des revolutionären Stroms, des Stroms der Massen gegen den opportunistischen, den kleinbürgerlichen Stromspielen“. 23. Kautsky will nicht mit den Massen brechen, aber er bezieht sich nur auf die organisierten Massen, die aber im Kapitalismus immer eine Minderheit darstellen werden. 1916 war nur ein Fünftel des Proletariats organisiert. Lenin nennt es die Pflicht jedes Sozialisten, „tiefer, zu den untersten, zu den wirklichen Massen zu gehen: darin liegt die ganze Bedeutung des Kampfes gegen den Opportunismus und der ganze Inhalt dieses Kampfes“. 24. Die Opportunisten strampeln sich nach oben, die Bolschewiki gehen tiefer in die Massen nach unten, ohne sich aber ganz mit ihnen zu verschmelzen. Der wissenschaftliche Sozialismus darf nicht von einer kleffenden Meute zerrissen werden, der bürgerliche Massenmedien täglich, stündlich die Tollwut des Antikommunismus einimpfen.