Nachruf auf Hans Göke

An einem trüben Herbstabend 1998 besuchte mich Hans und legte mir die Frage vor, was ich von der „Lehre von der Denkweise“ halte ? Diese „Lehre“ gibt die MLPD als eine, als ihre Weiterentwicklung des Marxismus aus. Ich kannte Hans schon von früher, von Demos und Veranstaltungen, auch von Veranstaltungen der MLPD. Ich erläuterte meine Auffassung, dass es sich bei dieser „Lehre“ um eine Verballhornung des Marxismus handele. Aber beim bloßen Marxisieren wollte es Hans  nicht bewenden lassen, er wollte gesellschaftlich praktisch revolutionieren mit dem Endzweck: Liquidierung des Kapitalismus, wie Lenin es in „Staat und Revolution“ als Aufgabe der Arbeiterbewegung formulierte: völlige Vernichtung der Bourgeoisie, ohne die es nicht zum Einschlafen der Demokratie kommen kann.  Gemeinsam wurde eine Broschüre verfasst, deren Titel als Frage formuliert wurde: „Führt die Lehre von der Denkweise die Arbeiter zum Kommunismus ?“ (siehe; google: lenin unser aller lehrer denkweise MLPD). Die in der Broschüre gegebene Antwort war eine verneinende. Ein Manuskript dieser Broschüre gelangte vor ihrer Veröffentlichung in die Hände der Hannoverschen MLPD Oberen und so kann ich hier den Schluß des Vorwortes der Broschüre zitieren mit der kurzen Vorbemerkung, dass man Hans sofort aus der MLPD ausgeschlossen hatte: „Parteiausschluß…scheint das letzte Auskunftsmittel der Partei des weisen Denkens zu sein gegen Mitglieder, die ihre Fähigkeit zum kritischen Denken noch nicht eingebüßt haben. Die Parteioberen treten auf nicht nur als Ankläger und Richter in einer Person, sondern auch als Ankläger ohne Anklageschrift und als Richter ohne Urteilsbegründung. Parteiausschluß innerhalb von 24 Stunden. Ohnehin hätte die Anklageschrift im vorliegenden Fall nur in einer inhaltlichen Widerlegung dieser Broschüre liegen können. Die Partei hütete sich davor- eine Widerlegung dieser Broschüre wäre einer Widerlegung des Marxismus Leninsmus gleichgekommen. So wurde lediglich gefordert: „Das Papier muss vom Tisch !“ Es ist das alte Lied ! Auch der Papst forderte bereits: Die Lehre Galileo Galileis müsse vom Tisch…“

Im praktischen und theoretischen Wirken von Hans zog sich wie ein roter Faden die Dialektik von Revolution und Konterrevolution. Er hatte nicht vergessen, dass es sogar ein Buch von Friedrich Engels mit dem Titel gibt: Revolution und Konterrevolution in Deutschland. Bezeichnend war eine Szene in einem Buchladen in Hannover, der Stadt, in der Hans zusammen mit seiner Frau Herta die zweite Lebenshälfte verbrachte, als man diskutierte, ob dieser oder jener Parasit der bessere Kanzler für Deutschland sei ? Hans hörte aufmerksam zu, um im richtigen Augenblick den Satz einzuwerfen: Es gehe doch um die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ! (Damit war er weiter als die große Mehrzahl der sogenannten Politikwissenschaftler, die bei der Idee ihrer Wissenschaft fehlten:Politik liegt die Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen zu Grunde, keineswegs liegt sie diesen zu Grunde. Schon der junge Engels kritisierte 1844 in seiner ersten ökonomischen Schrift „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“, dass die Politik nicht daran denke, „die Voraussetzungen des Staates an und für sich zu prüfen“. ). Das war den Leuten im Laden, die sich ihren politischen Horizont von Redakteuren der BILD Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen „erweitern“ lassen, gar nicht gegenwärtig.

Wenn ich ihn besuchte, lagen in seiner Leseecke im Grunde immer Werke der gleichen Autoren: Marx, Engels, Lenin, Stalin, Hoxha und sein literarisch über alles geliebter Bert Brecht. Der Leninismus war für ihn praktische Anleitung zum Handeln und Quelle der Authentizität der proletarischen Revolution, scharf konnte er reagieren, wenn er Abweichungen vom Leninismus feststellte.

In den letzten Monaten machte er sich zunehmend Gedanken über die Organisierung des Proletariats in einer Diktatur des Proletariats und es ist nicht zufällig, dass er am Ende seines Lebens noch einmal, wieder einmal die Schrift von Karl Marx über die Pariser Kommune (Der Bürgerkrieg in Frankreich) studierte. Von diesem Werk ausgehend, bemerkte er in dem achtseitigen Flugblatt des Roten Oktober zur vorgezogenen Bundestagswahl, das „Kritik an der Anbiederung“ betitelt wurde, und in dem viel linker Radikalismus steckte, dem er in gewissen Passagen der Kritik  an den sich kommunistisch nennenden Parteien jedoch zustimmte, doch eine gewisse sprachliche Schludrigkeit. Marx gebrauchte im Bürgerkrieg in Frankreich kräftige, drastische Formulierungen: Schmarotzerauswurf, Parasitenpack, Zigeunerbande, der Staat…das nationale Kriegswerkzeug des Kapitals gegen die Arbeit…etc. Die Sprache im Flugblatt war ihm zu milde, zu politikwissenschaftlich. Ich glaube, Hans hatte Recht. Warum soll man Politikaster nicht Blutsauger nennen ? Und von diesen Blutsaugern am Körper der Arbeiterklasse kann diese Klasse sich nur selbst befreien. In der Vorbereitung dieses zwangsläufigen Erdbebens hat Hans zeitlebens ohne sich zu schonen sein Bestes gegeben und einen wertvollen Beitrag geleistet. Ohne sich zu schonen allerdings. Stunden vor seinem Tod besuchte ich ihn abends noch im Krankenhaus, auf seinem Nachttisch lag ein Buch von dem Mann, unter dessen Führung nach dem Versuch der  Pariser Kommune der Durchbruch gegen das kapitalistische Ausbeutersystem gelang: Lenins Ausgewählte Werke.

Heinz Ahlreip

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