Der dialektische und historische Materialismus und der Zerfall des Sozialismus

Der Kollaps der Sowjetunion über ihre Jahrzehnte betrachtet und die aus diesem sich hervor tuenden gesellschaftlichen Gebilde waren ein reaktionärer Rückfall. Daran kann es nicht den leisesten Zweifel geben, das ist unanfechtbar.  Die auf der Linie Chruschtschow-Gorbatschow Agierenden haben schwere historische Schuld auf sich geladen, da sie von Anfang an der Konfusion in den Gehirnen Vorschub leisteten, die Stalin mit seiner Studie über den historischen und dialektischen Materialismus gereinigt und geordnet hatte. Die Menschen brauchen in ihrem fragilen Leben einen leuchtenden roten Stern, der es sinnvoll weltgeschichtlich ausrichtet, der verhindert, dass sie sich auf intellektuelle Nullen einlassen, mit denen das Leben vergeudet wird. Diese Orientierung nun gab Stalins geniale Studie nach der Oktoberrevolution, gab das ‚Väterchen‘ in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution, eine Orientierung, wie sie noch keine historische Epoche vorher kannte. Stalin gab den Gehirnen nach der Oktoberrevolution, was Marx und Engels ihnen vor ihr mit dem ‚Manifest‘ gaben. Warum ragen diese beiden Werke aus der Millionenflut schriftlicher Ergüsse heraus ? Weil sie für die gesamte arbeitende Menschheit die Fundamente in einer Präzision legten, auf denen der Sozialismus-Kommunismus aufgebaut werden kann. (Die psychologisch ausgefeilte kapitalistische Werbung versucht heute gerade über die Ware dem Konsumenten eine Selbstbestätigung unterzujubeln, einen trügerischen Schein eines Charakters, der hohl bleiben muss). Mit dem Abweichen vom Fundamentalen fing es dann an, das Zerbröckeln der Diktatur des Proletariats, der Kurs Richtung Sozialismus-Kommunismus verschwamm. Das Fundamentale bezieht seine Kraft dadurch, dass es die Wirklichkeit richtig widerspiegelt. Immer wieder müssen sich die mit Theorie Befassten dieser Überprüfung durch konkrete revolutionäre Praxis unterziehen, um nicht in einen ohnmächtigen Intellektualismus abzugleiten. Bloße Theorie verhält sich zu den Klassenkämpfen wie die Onanie zum Geschlechtsverkehr. Eine Theorie nun, die im Klassenkampf der Vernichtung der bürgerlichen Geldsäcke dient, ist schon von vornherein subversiv insofern, als sie in der Widerspiegelung des letzten entscheidenden Klassenkampfes in der Durchleuchtung der bürgerliche Ideologie die Fetische aufzuweisen hat, die diese durchziehen und die Gehirne durchkreuzen. Revolutionäre Theorie hat immer das Aufdecken von Fetischen zum Inhalt, ist Aufklärung, ist Zurückführung des Menschen auf ihn selbst, auf seinen Grund, auf sein Fundament. Mit der Zurückführung des Menschen auf ihn selbst, mit seiner geistigen Separierung aus dem Dornengeflecht des ekelhaften kapitalistischen Alltags hebt jede revolutionäre Theorie an. Sie zeigt heute auf, dass die Bestimmung des Menschen nicht darin liegen kann, irgendein Zubehör zu irgendeiner Maschine in irgendeiner irgendeinem Kapitalisten gehörenden Fabrik an irgendeinem Ort zu sein. Nach dem Kollaps der Sowjetunion, nachdem das Schiff der Revolution auf den Meeresgrund geschleudert worden ist, ist das heute aber alltägliche, weitgehend akzeptierte Praxis in ganz Europa. Es ist heute wie schon so oft in der Geschichte die Aufgabe der Marxisten, gegen den Strom zu schwimmen.

In diesem Zusammenhang ist es äußerst wichtig, die Marksteine zu eruieren, die die Verwässerung der materialistischen dialektischen Methode anzeigen, die Engels 1886 als „unser bestes Arbeitsmittel und unsere stärkste Waffe“ (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1977,293). bezeichnet hatte. Stalins Studie „Über dialektischen und historischen Materialismus“ hatte diese stärkste Waffe noch geschärft; ihre krasse dilettantische Handhabung kommt erst in Chruschtschows sogenannter Geheimrede zum Vorschein. (Schon die Anweisung, dass die Delegierten während dieser Rede keine Notizen machen durften, ist sehr bedenklich und hat mit dem wissenschaftlichen Sozialismus nichts zu tun. Natürlich muss man sich auf dem Gebiet der Wissenschaft Notizen machen, will man denn wissenschaftlich arbeiten). Eine friedliche Koexistenz zwischen Sozialismus und Kapitalismus und die Ersetzung der Diktatur des Proletariats durch einen Staat des ganzen Volkes zeigen allerdings die Verlotterung dialektischen Denkens ganz deutlich an. Bei Gorbatschow wurde daraus das „gemeinsame Haus Europa“, in dem am Ende keine zwei deutschen Zimmer vorgesehen waren. Der „Neue Mensch“, ein Klassenkämpfer durch und durch, der den Klassenkampf über alles stellte, wurde einem „Neuem Denken“ geopfert, das keine Reflexe der Konfrontation mehr enthielt. Am Ende hielt Gorbatschow auf der XIX. Unionskonferenz 1988 revolutionäre Sprünge für gefährlich. (Rede Michail Gorbatschows bei der Schlusssitzung der Konferenz am 1. Juli 1988, in: XIX. Unionskonferenz der KPdSU, Dokumente und Materialien, APN Verlag Moskau 1988,121). Gegen diesen ganzen revisionistischen Verrat, hier in Sachen Dialektik, ist eine Passage aus Stalins Studie zu halten: „Darum ergibt sich aus der dialektischen Methode, daß der Prozeß der Entwicklung von Niederem zu Höherem nicht in Form einer harmonischen Entfaltung der Erscheinungen verläuft, sondern in Form eines Hervorbrechens der Widersprüche, die den Dingen und Erscheinungen eigen sind, in Form eines „Kampfes“ gegensätzlicher Tendenzen, die auf der Grundlage der Widersprüche wirksam sind“. (Josef Stalin, Über dialektischen und historischen Materialismus, in: Geschichte der KPdSU (B), Kurzer Lehrgang, Verlag der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland. Berlin, 1946,131). Diese kurze Passage ist ein Spiegel, in denen sich die revisionistischen Fratzen abbilden.  Was hat der Revisionismus bei den Lohnsklaven angerichtet ?  Die Sklavenhalter werden als vom Volk legitimiert bezeichnet und in die Toga des Rechts gehüllt. Wenn denn aus der Geschichte erwiesen ist, dass während des Aufkommens der Bourgeoisie die besten Elemente dieser damals fortschrittlichen Klasse danach strebten, in den Adel aufzusteigen, so wird es auch in der proletarischen Emanzipation immer ehrgeizzerfressene Elemente geben, die danach streben, in die bürgerliche Klasse oder zumindest in die Arbeiteraristokratie aufzusteigen. Die Literatur dieser Elemente kann dann natürlich nicht mehr revolutionär sein. Man kann Lenins „Staat und Revolution“ vorwärts und rückwärts lesen, hin und her wenden, ins Licht halten, den Begriff „demokratischer Rechtsstaat“ findet man bei ihm nicht. Man findet diesen Begriff bei Lenin nicht, weil es einen demokratischen Rechtsstaat nicht gibt noch geben kann. Der bürgerliche Staat ist vielmehr, wie Marx in seiner Analyse  der Pariser Kommune erkannte, ein „nationales Kriegswerkzeug des Kapitals gegen die Arbeit“. Die Entwicklung des Niederen zu Höherem, die Entwicklung vom Kapitalismus zum Sozialismus verläuft nicht in Form einer harmonischen Entfaltung, sondern in Form eines Hervorbrechens der inneren Widersprüche, in Form eines Bürgerkrieges der schrecklichsten Art, in Form eines Kampfes gegensätzlicher Tendenzen. In seiner Rechtsphilosophie hatte Hegel geschrieben, dass man etwas Großes sagt, wenn man sagt, dass der Mensch gut ist, aber man vergißt, dass man etwas noch Größeres sagt, wenn man sagt, dass der Mensch böse ist. Es ist das Böse, worin die Triebkraft der geschichtlichen Entwicklung sich zunächst darstellt, als Frevel gegen die alten, „durch die Gewohnheit geheiligten Zustände“ (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1977,287). Anders kann es auch gar nicht sein: Im Laufe der Emanzipation einer bisher unterdrückten Klasse kommt es zu einem Umschlag eines bisher elementaren Prozesses zu einem bewußten, in einer Revolution erwachen Millionen bisher geschundener Sklaven zu einem Klassenbewußtsein, zu Vernunft und neuen bahnbrechenden Ideen. „Der elementare Entwicklungsprozess macht der bewußten Tätigkeit der Menschen Platz, die friedliche Entwicklung der gewaltsamen Umwälzung, die Evolution der Revolution“ (a.a.O., 158). Kleinbürgerliche Radikale und Anarchisten verzweifeln nur allzu oft in der elementaren Evolution, weil sie deren kommenden Umschlag in eine Revolution nicht begreifen oder nicht abwarten können. Man muss den Volksmassen, insbesondere der Arbeiterbewegung vertrauen, die auch in geschichtlichen Ruhepausen lernen und ihre Erfahrungen bündeln. Es gibt Phasen, in denen sich die Arbeiterbewegung, wie Lenin es sehr schön zu Beginn seines  Vorwortes zur zweiten Auflage seines enormen Werkes „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, Der Prozeß der Bildung des inneren Marktes für die Großindustrie“ im Juli 1907 formulierte, sich „gewissermaßen in sich selbst“ zurückzieht. Eine friedliche Evolution geht einer gewaltsamen Revolution voraus, aber der Umschlag ist ein objektiver, kein subjektiv zu machender. Man kann keine Revolution aus dem Stegreif machen, sie muss reifen, Revolutionäre können höchstens und müssen für die  Revolution arbeiten. Anarchisten greifen aus Verzweiflung zur Selbsthilfe und werfen einen Funken in die Steppe der Evolution, der noch nicht zünden kann. (Siehe RAF).

Ich will ein kleines, aber nicht unerhebliches Beispiel in kleinbürgerlicher Befangenheit in den geltenden Umständen aus der DDR anführen. Marx‘ Kritik an Ludwig Feuerbach, dass dieser trotz seiner atheistischen Religionskritik eine doppelte Welt bestehen ließ, dass er in der irdischen Familie zwar das Geheimnis der himmlischen erkannte, aber erstere nicht auch der Kritik unterwarf, dass er nur Religionskritiker blieb und kein Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft und kein Kämpfer gegen sie wurde, bekanntlich trat Feuerbach erst 1869 in die von Liebknecht und Bebel gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein, läuft für Marx auf die Forderung hinaus, die Familie praktisch zu vernichten. (Karl Marx, Thesen über Feuerbach, Werke Band 3, Dietz Verlag Berlin, 1977,6). Von der Ersetzung der bürgerlichen Familie durch eine proletarische ist hier nicht die Rede. Die Kritik von Charles Fourier an der französischen Revolution, dass diese nicht auf die Vernichtung der Ehe zielte, lässt sich auch auf die russische Oktoberrevolution übertragen, obwohl es in den sowjetischen Fabrikstädten zum Bau von Einküchenhäusern kam, wie das auch beim zwischen 1927 bis 1930 gebauten Karl-Marx-Hof in Wien, dem „Versailles der Arbeiter“, der Fall war. 1972 erschien in der DDR im ‚Verlag der Frau‘ ein Buch, das den Titel trug: „Marx Engels Lenin, Über die Frau und die Familie“. In der Einleitung breitet sich ein Joachim Müller aus, dass die Existenz der Familie ewig sei. (Marx Engels Lenin, Über die Frau und die Familie, Verlag für die Frau, Leipzig, 1980,10). Zwischen den Seiten 144 und 145 ist ein Schwarzweißbild eingebunden, auf dem eine Frau, ein Mann und drei Kinder in lockerer Atmosphäre gezeigt werden. Unter dem Bild liest man: „Entspannung für die ganze Familie“. Wenn man eine erfolgreiche Revolution daran erkennt, dass sich die Formen der Beziehungen unter den Menschen geändert haben, so ist auf dem Bild davon nichts zu bemerken, Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts gab es zwar Kommunen in Westberlin, nicht aber in Ostberlin. Im Gegenteil, für die SED-Spießer waren die Kommunen rote Tücher, es gab in der DDR Plattenbauten, aber keine Architekten, die Wohnungen explizit für eine kommunale Lebensweise von Kollektiven entwickelten. Wie sollten sie auch ? Führte doch Kurt Hager in seinem Referat auf der Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz des ZK der SED zum 125. Jahrestag des ‚Manifests der Kommunistischen Partei‘ am 15. März 1973 aus: „Die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft hat auch in der DDR die Grundlagen für eine sozial gesicherte Existenz der Familie geschaffen, für die Entwicklung von harmonischen sozialistischen Gemeinschaftsbeziehungen der durch Zuneigung, Achtung und Vertrauen einander verbundener Ehepartner, Eltern und Kinder“. (Kurt Hager, Das ‚Manifest der Kommunistischen Partei‘ und der revolutionäre Weltprozeß, Referat auf der Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz des ZK der SED zum 125. Jahrestag des ‚Manifests der Kommunistischen Partei‘ am 15./16. März 1973, Dietz Verlag Berlin, 1973,43). Das war Linie, alles was Hager sagte, war Linie. Aber man braucht nur wenig Wortersetzungen vornehmen, und der Satz hätte auch in einer Fibel des Bonner Familienministeriums stehen können. Aber diese eigentümliche Gesellschaft-Familie-“Dialektik“ musste in der Sackgasse enden, Marx war zurechtgestutzt auf das Niveau von Étienne Cabet, in seinem Ikarien lebt jede Familie für sich, „ohne Dienstboten, und macht einen kleinen Haushalt für sich aus“. (Étienne Cabet, Reise nach Ikarien, Die Ordnung der ikarischen Gemeinschaft, in: Die Frühsozialisten 1789 – 1848, Rowohlt Verlag, Hamburg, 1970,206). In Hagers Referat zieht sich im Weiteren wie ein roter Faden die Kritik an dem rechten Flügel der SPD in der BRD, der linke Flügel bleibt dagegen ausgespart. Aber das ist ein schwerer taktischer Fehler, gerade der linke Flügel der SPD täuscht die arbeitenden Menschen viel raffinierter als der rechte, in ihm ist nicht weniger faschistisches Potential als im rechten, eher noch mehr.

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