Archive for September 2015

Agentur für Arbeit Hannover Menschen werden wie Dreck behandelt

27. September 2015

„Die große Schönheit der kapitalistischen Produktion besteht darin, daß sie nicht nur beständig den Lohnarbeiter als Lohnarbeiter reproduziert, sondern im Verhältnis zur Akkumulation des Kapitals stets eine relative Überbevölkerung von Lohnarbeitern produziert. So wird das Gesetz von Arbeitsnachfrage und Zufuhr in richtigem Gleis gehalten …“ (Karl Marx, Das Kapital, Werke Band 23, Dietz Verlag Berlin, 1960,796).

Seit dem 11. Juni 2014 bin ich aufgrund gesundheitlicher, nicht von mir verschuldeter Probleme arbeitslos und habe daher von da an wieder mit der Bundesagentur für Arbeit in Hannover zu tun. Ich hätte gewarnt sein sollen. Als 1991 mein Sohn Sascha geboren wurde, bekam ich das Kindergeld für ihn erst nach dreizehn Monaten durch Einschaltung eines Rechtsanwaltes. Ich arbeitete nach deutschem Tarif bei einer englischen Firma, die ihren Hauptsitz für Nordeuropa in Belgien hatte. Damit kam der Sachbearbeiter offensichtlich nicht klar. Obwohl ich ihm mehrmals die Nummer meines bundesrepublikanischen Personalausweises von meiner Arbeitsstelle aus telefonisch mitgeteilt hatte, wimmelte er mich ab mit der „Begründung“, ich sei belgischer Staatsbürger und müsse das Kindergeld in Belgien beantragen. Schließlich landete die ganze Sache in Newcastle, einer englischen Stadt an der schottischen Grenze, in der sich eine Institution befindet, die der damaligen deutschen Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg entsprach. Für meinen Sohn begann die Lüge des Grundgesetzes, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, bereits im Augenblick seiner Geburt.

Obwohl es damals noch keine Hartz-IV-Gesetzgebung gab, wurde bereits 1991 die ganze Geldgier dieser Institution deutlich, dass sie das Geld anbetet und dass dieses sie beherrscht. Und damit kommen wir auch schon zum gegenwärtigen Umgang der Agentur mit ihren „Kunden“. Ab dem 11. Juni 2014 bin ich arbeitslos und hatte dementsprechend einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt, den ich zur Prüfung auf Richtigkeit einer Sachbearbeiterin vorzulegen hatte. Die war aber bei dem Prüfungstermin dermaßen erkältet, hustete und prustete, dass ich sie fragte, warum sie sich denn nicht krankschreiben lasse ? Zu Hause sei es ihr langweilig, gab sie zur Antwort und segnete den Antrag nach flüchtigem Überblick als richtig ab. Einige Tage später bekam ich einen Brief von der Agentur und war bei seinem Öffnen gespannt auf die Höhe meines Arbeitslosengeldes. Pustekuchen ! Es war ein Ablehungsbescheid, eine Nullnummer, ich sollte keinen Cent bekommen, der Antrag wäre falsch ausgefüllt. Es war dies nicht die letzte Nullnummer. Erst durch einen schriftlich eingereichten Widerspruch bekam ich einen zweiten Brief, der die Korrektur enthielt.

Sodann wurde ich zu einer Frau Meier geladen, die mit mir über meine berufliche Situation sprechen wollte. Diese eröffnete mir, ob ich nicht meine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden möchte, da ich ja aus gesundheitlichen Gründen arbeitslos geworden sei und sie durch die Gutachten sehen könne, zu welchen Tätigkeiten ich denn überhaupt noch eingesetzt werden darf. Die Gutachten wurden beigebracht und ich wurde wieder als vermittelbar für den Gartenbau eingetragen, obwohl ich in ihm dauernd krankgeschrieben worden war. Ich wunderte mich über die Gutachten meiner Ärztinnen. Erst im Januar 2015 kam durch einen Rotationswechsel in der Agentur heraus – ich bekam eine neue Vermittlerin – dass es nicht an den ärztlichen Gutachten lag, beide, sowohl das von der Orthopädin als auch das von der Hausärztin hielten eine Arbeit im Gartenbau aus medizinischer Sicht für nicht mehr zumutbar. Entweder hatte Frau Meier die Gutachten nicht gelesen oder sich einfach über sie hinweggesetzt. Ich habe durch den Rotationswechsel vielleicht noch Glück gehabt, wie mag es anderen ergangen sein ? Endete ihr Berufsleben im Rollstuhl ? Menschen im Rollstuhl – das wäre das Meistwerk eines „Staatsmannes“ wie Gerhard Schröder, der seine Hochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg erlangt hat. Lenin hatte bereits 1902 erkannt, dass die Revisionisten armseligere Reformen auf den Weg bringen können als rein bürgerliche Regierungen. (Vergleiche Lenin, Was tun ? Brennende Fragen unserer Bewegung, Werke Band 5, Dietz Verlag Berlin, 1960,363f.).

Ab dem 3. August 2015 habe ich einen Minijob als Reinigungskraft bei einer Sparkassenfiliale in Hannover angenommen. Noch im Juli hatte ich eine Kopie des Arbeitsvertrages zur Agentur geschickt, aus dem hervorging, dass ich jeden Tag 35 Minuten arbeite und am Monatsende cirka 100 Euro Lohn erhalte. Am 5. August, also am dritten Arbeitstag, bekam ich einen Aufhebungsbescheid über mein Arbeitslosengeld. Es war die zweite Nullnummer, das Arbeitslosengeld war ganz gestrichen worden, da ich einer Beschäftigung nachginge. Ich sollte von 100 € im Monat leben. Natürlich kamen Suizidgedanken auf. Einen Tag später kam dann die Korrektur dieses Aufhebungsbescheids und dieser ist seidem noch dreimal korrigiert worden (am 26.8., am 16.9. und am 22.9.), das heißt, die Agentur hat ihren eigenen Aufhebungsbescheid vom 3. August bis zum 22. September 4 mal korrigiert.  Zirka alle 14 Tage merkt jemand in der Agentur: da stimmt was nicht ! Indes: ALLE KORREKTUREN SIND BISHER SELBST KORREKTURBEDÜRFTIG. Was die Agentur nicht begreift ist die schlichte Tatsache, dass ich einen Freibetrag von 165 € im Monat habe, den sie mir übrigens in jedem Änderungsbescheid bestätigt, und dass 100 € weniger sind als 165 €. Das, was ein Kind von fünf Jahren sofort begreift, begreift die Agentur fünfmal  hintereinander innerhalb von fünf Wochen nicht. Wieviel Taschengeld bekommt ein fünfjähriges Kind im Monat und was verdienen die „Diplom-Mathematiker“ im Arbeitsamt im Monat ? Karl Marx schrieb im Jahre 1843 in seiner ‚Kritik des hegelschen Staatsrecht‘ vom Idiotismus der Bürokratie, die Agentur für Arbeit in Hannover bestätigt diese Aussage im Jahr 2015 glänzend, bei dieser Bürokratie liegt eine Mischung aus Dummheit und Menschenverachtung vor (Dummheit und Menschenverachtung ergibt Faulheit) und man gewinnt den Eindruck, dass noch vor der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (siehe oben: 1991) die Schandtaten dieser  Bürokraten, deren Moral auf dem Euro beruht, im Grunde ihres Herzens schon da waren und dass es zu ihrer Ausführung nur der Agenda 2010 bedurfte.

Aus dem im Juli 2015 der Agentur in kopierter Form zugesandten Arbeitsvertrag geht auch hervor, dass der Minijob am 29. Februar 2016 enden wird. Am 1. März tritt wieder der alte Zustand der vollen Arbeitslosigkeit ein, in dem ich auch weiterhin rechtlichen Anspruch auf Zahlung des vollen Arbeitslosengeldbetrages habe.  Gleichwohl wurde das Arbeistlosengeld gekürzt bis zu seinem Auslaufen am 18. Juni 2016. War es im Falle der ärztlichen Gutachten noch fraglich, ob sie gelesen oder einfach ignoriert wurden, so ist hier der Fall eindeutig: Die der Agentur zugesandten Dokumente werden nicht zur Kenntnis genommen !!

Ich ziehe ein Fazit: Wird dir im kapitalistischen Produktionsprozess dein Körper kaputt gemacht, so dass du in deinem Beruf nicht mehr arbeiten kannst, kommt das Arbeitsamt und macht dir deine Seele kaputt. Aber die bürokratischen Hooligans, die jede Ordnung zerstören, die die Unterdrückung der Armen und Schwachen betreiben und die Brutalität der Kapitalisten handlangerisch unterstützen, sollen sich nicht täuschen. Immer mehr Menschen durchschauen den widerwärtigen Charakter des kapitalistischen Ausbeutungssystems, das immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen zwingt, ihre Hand zu einer Faust zu ballen, um den Bürokratismus, dieses Krebsgeschwür endgültig und für immer aus dem Körper des arbeitenden Volkes herauszuballern. Immer deutlicher wird das Bewußtsein, dass die Agentur für Arbeit die Arbeitslosen nicht nur einfach knechtet, sondern dass sie sie als „gemeinen Pöbel“ direkt quält, als „gemeinen Pöbel“, dem es von Natur aus zukäme, sich den wohlgeborenen Kapitalisten zu fügen. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, kein Beamter und keine Beamtin der Arbeitslosenagenturen können auf Grund des Gesetzes von Arbeitsnachfrage und Zufuhr auf Seiten der Arbeitslosen stehen, sie alle können nur Handlanger der Kapitalistenklasse sein und für diese niedrigste Helotendienste leisten, so, wie es ihnen gebührt. Eine Sprengung der Agenturen für Arbeit wäre zugleich eine Befreiung dieser bürokratischen Heloten. Bürgerlichen Juristen haben die detailliertesten Gestzbücher zum Arbeitsrecht ausgedacht, aber Lenin lehrte uns: „Da ist alles durchdacht und niedergeschrieben, wie der Arme ‚auszupressen‘ ist“ (Vergleiche Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Werke Band 28, Dietz Verlag Berlin, 1960,274).

Nachtrag: Am 27. Juli 2015 hatte ich der Agentur für Arbeit per mail mitgeteilt, dass ich im Monat etwa 100 € verdiene, einige Tage später erhielt sie eine Kopie des Arbeitsvertrages, mit der das bestätigt wurde. Am 18. April 2016 teilte mir die Agentur  mit, dass ich mit dem Verdienst aus meinem Minijob unterhalb meines Freibetrages von 165 € liege. ENDLICH nach zirka 255 Tagen !!! scheint der Groschen gefallen zu sein. ENDLICH hat diese Behörde begriffen, dass 100 € weniger als 165 € sind.

 

Über das Scheitern des real existierenden Sozialismus

20. September 2015

Das Experiment des real existierenden Sozialismus nach sowjetrussischem Modell ist gescheitert, weil die Produzent/innen sich in ihrem Produkt nicht mehr erkannten und ihre „forces propres“ nicht als gesellschaftliche Kräfte organisieren konnten. Der junge Marx hatte im Herbst 1843 in der „Judenfrage“ geschrieben: „ … erst wenn der Mensch seine „forces propres“ als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat … ist die menschliche Emanzipation vollbracht“ (MEW 1,370). Aus dem Menschen war die Arbeiterklasse geworden, die ihre „forces propres“ zwar als gesellschaftliche Kräfte erkannt hatte, sie aber noch nicht als solche organisieren konnte. Ihr Produkt war sinnlich übersinnlich, das heißt, sie bemeisterten nicht ihren eigenen Produktionsprozess (Vergleiche: Das Kapital, MEW 23,95), was die Anhänger der Anarchie der Produktion trotz der heutigen Computertechnologie, die man sehr gut zur Gestaltung eines wirtschaftlichen Gesamtplans einsetzen könnte, sowieso für ausgeschlossen halten. Im Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ hatte Marx 1859 den Gedanken vorgetragen, dass sich die Menschheit immer nur Aufgaben stelle, die sie auch lösen könne. Hatte die Oktoberrevolution die Aufgabe zu früh gestellt ? So dass man sagen könnte, das Leben bestrafe nicht nur diejenigen, die zu spät kommen, sondern auch diejenigen, die zu früh kommen ? Im Brief an Ruge aus Kreuznach im September 1843 vertrat der junge Marx noch die Auffassung, dass die Menschheit längst den Traum von einer Sache besitze, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen. Obwohl der Marxismus die herrschende Theorie war verbunden mit der Macht der Gewehre, ist der Traum in Osteuropa einstweilen zerplatzt. Das Erkennen der „force propres“ als gesellschaftliche reichte allein nicht aus. Damit ist auch dort wie in Westeuropa schon immer ein gesellschaftlicher Zustand eingetreten, der die Menschen mehr knechtet als der Feudalismus. „Der Mensch hat aufgehört, Sklave des Menschen zu sein und ist Sklave der Sache geworden; die Verkehrung der menschlichen Verhältnisse ist vollendet; die Knechtschaft der modernen Schacherwelt ist … unmenschlicher und allumfassender als die Leibeigenschaft der Feudalzeit …“.  (Friedrich Engels, Die Lage Englands, Das achtzehnte Jahrhundert, Werke Band 1, 1960,557). Dieser fundamentalen Erkenntnis des jungen Engels schloss sich der junge Marx an, in der „Deutschen Ideologie“ stellten sie gemeinsam fest, dass die Individuen in ihrer Vorstellung unter der Bourgeoisherrschaft freier sind als früher … in der Wirklichkeit sind sie natürlich unfreier, weil mehr unter sachliche Gewalt subsumiert“. (MEW 3,76). Marx wird den inneren Kern dieser sachlichen Gewalt als Ware freilegen, durch die die gesellschaftliche Bewegung der Produzenten die Form einer Bewegung von Sachen für sie annimmt (Das Kapital MEW 23,89). Marx bemüht sodann Robinson, um zu zeigen, dass ein auf einer Insel isoliertes Individuum keine Waren produzieren kann, obwohl in seinen Produkten alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten sind. Ein Gebrauchswert realisiert sich erst durch Austausch als Ware. Nicht ein Einzelner, aber ein „Verein freier Menschen“, der mit kollektivierten Produktionsmitteln schafft, kann den kapitalistischen Fluch brechen. „Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell“ (a.a.O.,92). Warum ist der 1917 in bolschewistischer Form angedachte und angefangene Kommunismus nicht als ein ‚Robinson ins Kollektiv empor- und aufgehoben‘ gelungen ?

Um zur Kernursache des Zusammenbruchs der DDR zu gelangen, müssen wir bis auf das Jahr 1958 zurückgehen. In ihm wurde in der UdSSR vollzogen, wovor Stalin immer gewarnt hatte: Durch die Auflösung der auf bargeldloser Leihbasis wirtschaftenden Maschinen-Traktor-Stationen wurden riesige Mengen von Werkzeugen in die Warenzirkulation geworfen, was derart quantitative Ausmaße annahm, dass immer mehr das Wertgesetz zum Regulator der Produktion wurde und was den Klassenkampf in der UdSSR zugunsten restaurativer Kräfte verschärfte.  1969 erschien im sowjetischen Untergrund Amalriks Buch: „Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 überleben ?“  Die militärische Intervention in Afghanistan, die am 25. Dezember 1979 erfolgte, bildete dann in außenpolitischer Hinsicht den Anfang vom Ende der Sowjetunion und die Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 war ein nicht zu übersehendes Alarmzeichen.  Marx hatte im Kapital-Kapitel „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ am Beispiel eines Tisches entwickelt, dass er als Gebrauchsgegenstand ein ordinäres Ding, als Ware aber ein sinnlich übersinnliches Ding sei. Er stelle sich dann allen anderen Waren gegenüber auf den Kopf und entwickle aus einem Holzkopf Grillen, viel wunderlichen, „als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne“ (a.a.O,85). Am 7. Dezember 1989 trat im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte zum ersten Mal ein ‚Runder Tisch‘ zusammen, das war bereits so ein Tisch, an dem Personen Platz nahmen mit Grillen im Kopf, viel wunderlicher, als wenn sie aus freien Stücken zu tanzen begännen. Platt gemacht war die DDR unwiderruflich am 1. Juli 1990, als die DM die einzige Währung in Deutschland wurde. Im Hochgefühl eines chauvinistischen Taumels ging unter, dass am 12. September 1990 Deutschland in Versailler Tradition durch internationales Diktat seine Truppe von 500 000 Mann auf 370 000 zu reduzieren hatte. Katzenbuckelte man außenpolitisch, so gab das Treuhandgesetz nach innen die Handhabe zu einer schamlosen Enteignung des deutschen Volkes, die in seiner Geschichte ihresgleichen sucht. Die Geier des Westens haben heute keine Recht mehr, mit dem Finger auf die (übrigens berechtigten) Reparationsforderungen der Russen nach dem zweiten Weltkrieg zu zeigen. Wie bunt und pluralistisch war doch die deutsche Republik nach dem Sturz des SED-Monoliths geworden, und während die Fahne des ‚Prinzips Hoffnung‘ hochgezogen wurde, schlug die Reaktion aus dem Hinterhalt eiskalt zu. Sie hatte ja von jeher ‚gut lachen‘ in einem Land der Dichter und Denker – und Träumer. Was ist aus den Träumen von 1989 geworden ? Nun – der Russe kam nicht mehr, der Russe war gegangen. Diese Tatsache zusammen mit der Auflösung der NVA hätte zum sofortigen Abbau der reinen Verteidigungsarmee ‚Bundeswehr‘ führen müssen ! Träume ich ? Aber meine Träume zerplatzen schnell … als erster bei einem Einsatz im Ausland fiel am 14. Oktober 1993 der Feldwebel Alexander Arndt durch einen Angriff auf offener Straße in Phnom Penh, bei einem Angriff in Georgien der 23jährige Stabsunteroffizier Jens Klünder, in Rajlovac bei Sarajewo fiel die 21jährige Unteroffizierin Corinna Dietrich … u.s.w. … Die Namen der Soldaten, die bei Einsätzen von Spezialkräften fielen, unterliegen der Geheimhaltung. Wir dürfen noch nicht einmal die Zahl der Gefallenen erfahren. Mit welcher Inbrunst hatten die Pfaffen in der DDR ihre Hände zu Friedensgebeten gefaltet und gen Himmel gestreckt, nach dem Zusammenbruch der DDR bleiben sie zusammen mit Gauck heute eiskalt beim tragischen Schicksal junger Menschen, die ihr Leben für die Interessen einer volksfeindlichen Ausbeuterklasse gelassen haben, die sich hinter den Begriffen Demokratie und Republik verstecken kann. Beweist nicht die Finanzkrise um Griechenland, wie ekelhaft heute ganz Europa geworden ist – ekelhafter als zur Feudalzeit.

BUCHBESPRECHUNG: Klaus Gestwa: Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus

3. September 2015

Durch das Buch von Stefan Engel „Katastrophenalarm“ bin ich auf die Habilitationsschrift von Klaus Gestwa „Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus (Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte 1948 – 1967)“ aufmerksam geworden, in der ich auf eine merkwürdige Ausführung stieß: Der Professor wies auf eine „Feststellung“ einer Anne Applebaum hin, dass in der Sowjetunion zu Lebzeiten Stalins eine „Ideologie der Staatssklaverei“ (Anne Applebaum, Der Gulag, Berlin, 2003,307) geherrscht habe. Das ist merkwürdig genug, hatte doch der junge Marx in seiner Schrift „Kritische Randglossen zu dem Artikel eines Preußen“ im Juli 1844 die fortschrittlichen Arbeiter darauf hingewiesen, dass die Existenz des Staats und die Existenz der Sklaverei unzertrennlich seien (MEW 1,401f.). Und die damals fortschrittlichsten Arbeiter der Welt sollen laut Applebaum nicht bemerkt haben, dass die KPdSU (B) nichts anderes darstelle als ein vulgär-bürgerliches Herrschaftsinstrument zu ihrer eigenen Versklavung ? Eine Arbeiterklasse, die als einzige im 20. Jahrhundert drei Revolutionen gestaltend hinter sich hatte (1905 / Februar- / Oktoberrevolution) und mit dem Marxismus-Leninismus vertraut war, hätte dieses Instrument doch zerbrochen. Die Aufgabe in einer Habilitationsschrift wäre es nun gewesen, diesen Irrsinn richtig zu stellen, doch weit gefehlt, Gestwa zitiert die Dame zustimmend. Wie er denn auch ebenso eilfertig von Dietrich Beyrau auf Seite 486 seiner Schrift die abwegige Bezeichnung der Stalinschen Sowjetunion als einer „industrialisierten Status- oder Ständegesellschaft“ (Dietrich Beyrau, GULAG – die Lager und das Sowjetsystem, in: Sowi 2000, Nr. 29,171) übernimmt. Alle anti-kommunistischen Fundstellen in der anglo-amerikanischen Literatur über die Großbauten des Kommunismus werden von ihm ebenso wohlwollend, also vor allem unkritisch übernommen. Wenn man in einer Habilitationsschrift eines deutschen Wissenschaftlers aus dem Jahr 2009 die Sowjetunion als eine industrialisierte Ständegesellschaft eingeschätzt findet, so reibt man sich ja zunächst verwundert die Augen. Um so mehr, wenn er auf Seite 525 das Negative, das durch die Wehrmacht über die Sowjetunion hereinbrach, infam mit den sozialwirtschaftlichen Engpässen der Stalinzeit, des „Stalinismus“, dem „Steinzeitvandalismus“ (Seite 531) unterschoben wird, gleichsetzt. Die Anhänger der Totalitarismustheorie übersehen ständig, dass der Faschismus ein Ausdruck großkapitalistischer Weltherrschaftsintentionen war und ist, der Kommunismus aber real die Welt ohne Herrschaft beinhaltet, was für Gestwa eine heilsgeschichtliche Verblendung (Seite 530) ausdrückt. Wie kann so eine Verirrung zustande kommen ? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf eine Erkenntnis zurückgreifen, die Karl Marx aus seiner Analyse der Pariser Kommune gezogen hat. Die Kommune von Paris hat bewiesen, „daß der heutige Bourgeois sich für den rechtmäßigen Nachfolger des ehemaligen Feudalherren ansieht …“ (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, in: Karl Marx / Friedrich Engels, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,321). Deshalb fühlen sich bürgerliche Akademiker heute instinktiv so sehr zu dem klassischen Land der Sklaverei hingezogen, spucken auf die humanistische Tradition der europäischen Aufklärung, spucken auf die Schriften von Kant und Lessing, auf die von Marx und Engels allemal, reißen ihre Löffel auf nach dem letzten intellektuellen Schrei der Universitäten von Oxford und Harvard, lassen sich auf ihren Gelehrtenbauch fallen und kriechen heran bis … ja … bis an die Stiefel von ‚Uncle Sam‘, um diese zu liebkosen. Dadurch wird überdies ein einseitiges Bild der anglo-amerikanischen Forschungsliteratur vermittelt. Heute gibt diese Forschung, wenn auch noch eingeschränkt zu, dass die Zeit Stalins keineswegs eine der exzessiven Naturausbeutung ohne Rücksicht auf umweltschädliche Folgen war. Stalin unterstützte die Waldschutzbehörden, die nach seinem Tod rapide an Bedeutung und Einfluss verloren. Stephen Brain spricht heute davon, dass der Umweltschutz in der Sowjetunion unter Stalin ein Niveau erreicht hatte, dem weltweit nicht beizukommen war (Vergleiche Stephan Brain, Stalin’s Enviromentalism, in: Russian Review Nr. 69, 2010,97ff.). In seiner Habilitation stellt Gestwa es genau entgegengesetzt dar: „Nach dem Tod Stalins wuchs das gesellschaftliche und politische Interesse an Umweltfragen. Die Tauwetterperiode markierte den Beginn der endlosen umweltpolitischen Versuche, das Unheilbare zu heilen“. Er hebt Crutschov hervor, durch dessen Liberalisierung die ‚Stalinsche Brutalität‘ im Umgang mit der Natur beendet worden sei. Sicherlich wurden bei der Ausführung der Stalinschen Großpläne auch Fehler begangen, solche Projekte können nicht fehlerfrei realisiert werden; aber darf man deswegen in eine Schwarz-Weiß-Schablone fallen, in eine Schablone, der sich noch Gorbatschow auf dem 28. Parteitag bediente, um die ökologische Fehlentwicklung in der Sowjetunion allein der Periode zuzuschieben, in der Stalin seine letzten Lebensjahre verbrachte ? Immerhin wurde nur fünf Tage nach Stalins Tod das Ministerium für Forstwirtschaft aufgelöst. War das kein Fehler ? Es gab eine Gefahr, den naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt mit Fortschritt schlechthin gleichzusetzen, um in einer eventuell unangebrachten Konkurrenz zu den USA als wahres „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ dazustehen.

Aufschlußreich ist in Gestwas Habilitation die Anmerkung 46 auf Seite 507: „Die pädagogische Inititative für den Umweltschutz verlief darum mit wenigen Ausnahmen im Sand und verkam zum bloßen Ritual. So das kritische Fazit von Nasimovic …“. Die These von Nasimovic wird ungeprüft übernommen. Unkritische Übernahmen durchziehen die Habilitation leider wie ein roter Faden, die letztendlich eine aus vielen Puzzlesteinen zusammengesetzte Kompilation darstellt. Um ein Beispiel zu geben: Gestwa verweist auf Seite 570 auf Wissenschaftler, die die Großprojekte des „Stalinismus“ als „Perversion der Moderne“ darstellen. „Sie sprechen darum von den „vernutzten Strategien“ (Mommsen) der Modernisierung, vom „Mißbrauch der Moderne“ (Weiß), von der „halbierten Moderne“ (Joas), „der eindimensionalen Moderne“ (Plaggenborg) oder der „vorgetäuschten Modernisierung“ (Mommsen)“. Durch diese Puzzlesteine entsteht eine düsteres Gemälde der Stalinzeit, ohne dass die Echtheit der Steine untersucht worden ist. Hegel schrieb das Zusammensuchen von Gemälden aus ‚Stückchen‘ der Beschäftigung von Kindern zu, Lenin wies darauf hin, dass statt des Aneinanderklebens von Zitaten die ‚Puzzlesteine‘ in ihrer Selbstbewegung zu verfolgen sind. „Jedes Einzelne hängt durch Tausende von Übergängen mit einer anderen Art Einzelner (Dinge, Erscheinungen, Prozesse) zusammen usw. Schon hier haben wir Elemente, Keime des Begriffs der Notwendigkeit, des objektiven Zusammenhangs in der Natur etc.“ (Lenin, Zur Frage der Dialektik, in: Lenin, Über Hegelsche Dialektin, Reclam Verlag Leipzig, 1986,45). Kurz: es genügt nicht, Tausend Bücher (auch noch unkritisch) zu einem Thema zu lesen, um aus diesen der wissenschaftlichen Gesellschaft und besonders der Arbeiterklasse Tausend Zitate vorzulegen. Diese sind doch kein Ersatz für die Tausend Übergänge von einem Einzelnen zu einem anderen. Die unkritische Übernahme von Einschätzungen seiner Kollegen verführt Gestwa zu der Schlussfolgerung, dass der stalinistischen Politik trotz ihrer unbestrittenen modernen Intention „archaisierende Strukturen und Praktiken“ anhingen. (Besser wäre hier „archaische Strukturen“). Aber das ist kein Forschungsergebnis, sondern eine Feststellung, dass sich in revolutionären Prozessen Komplexes und Einfaches wechselseitig durchdringen. Das hatte Lenin bereits 1917 in seinem Fundamentalwerk „Staat und Revolution“ herausgearbeitet. Erinnert sei nur an seine Ausführung, dass die Rechnungsführung und Kontrolle durch den Kapitalismus bis zum äußersten vereinfacht, in außergewöhnlich einfache Operationen verwandelt worden ist und dass zum ‚Verwalten und Regieren‘ des sowjetischen Staates die Beherrschung der vier Grundrechnungsarten ausreichend sein wird. (Vergleiche Lenin, Staat und Revolution, Werke Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960,488).

Im Vorwort seiner Habilitation (Seite 7f.) bedankt sich der Professor bei Ingrid Schierle mit ihrem Talent, „mich auf ihre charmante Art auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Sie erinnerte mich zum richtigen Zeitpunkt daran, endlich in die ‚Quellen zu gehen‘, um meinen interpretativen Höhenflügen solide empirische Studien folgen zu lassen“. Spätestens seit Bacons Kritik an hochfliegenden Ideen („natura parendo vincitur“) ist das keine wissenschaftliche Vorgehensweise mehr. Erst die harte Arbeit an den Quellen, aus denen sich (eventuell) wissenschaftlich fundierte Ergebnisse herleiten (lassen können)… dann die ‚interpretativen Höhenflüge‘. „Nicht die Sichtung und Analyse von Fakten führt zu einem Ergebnis, sondern die eigene Position eines eingefleischten Antikommunisten muss mit Material unterfüttert werden“. (Flugblatt der Hochschulgruppe der MLPD Kreis Reutlingen-Tübingen). Überhaupt ist das Vorwort zu dieser Habilitation recht aufschlussreich. In ihm wird der subjektivistische Ansatz des Professors deutlich, er hat außer dem Antikommunismus keinen objektiven Gedanken, keine Idee, die ihn in seinen Forschungen leitet. Fundamentale Fragestellungen der Arbeiterbewegung werden nicht aufgeworfen, aber sein wirres Gerede von einer „stalinistischen Beuteökonomie“, als hätte Stalin bei der Erschließung des sowjetischen Territoriums Indianer ausrotten lassen, legt doch einen Umkehrschluss nahe: Der Kapitalismus ist für ihn das humanere und umweltgerechtere Produktionssystem. Zu dem subjektivistischen Ansatz gesellt sich dann im Haupttext ein idealistischer hinzu. Die Ursache für den Zusammenbruch der Sowjetunion sieht er in einem wankenden Wertekatalog. „Der über Jahrzehnte propagierte Wertekatalog der technikgläubigen Sowjetgesellschaft geriet zunehmend ins Wanken, so dass der sowjetische Parteistaat schließlich in den Jahren der Perestroijka im Strudel um sich greifender Krisen unterging“. (a.a.O.,47) Genau umgekehrt ist in den gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen vorzugehen, es muss untersucht werden, wie es denn zu diesem Wanken des Wertekataloges hat kommen können ? „Aufstieg und Niedergang des ersten sozialistischen Staats auf Erden lassen sich als Geschichte einer Liebesaffäre zwischen Technik und Macht schreiben“ (Seite 556). Glückliche Zeiten für die Gesellschaftswissenschaften ! Er gibt uns ein mechanistisch verkürztes Bild des Marxismus durch seine abstruse These, Marx und Engels seien „offensichtlich dem ‚technischen Eros‘ erlegen“. (a.a.O.,53). In einem im September 1843 geschriebenen Brief an Ruge teilt Marx diesem mit, dass eine Revolution zeigen werde, dass die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern ihre alte Arbeit mit Bewußtsein zustande bringt. (Marx an Ruge, Werke Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,346). Auch muss auf die Bedeutung der Subbotniks hingewiesen werden, die zeigen, dass nicht das technische Element ausschlaggebend ist, sondern dass Arbeiter und Arbeiterinnen freiwillig Arbeit auf kollektive Weise mit kommunistischem Bewußtsein ohne Geld verrichten. Dem ‚technischen Eros‘ erlegen ist vielmehr Gestwa selbst, wenn er auf Seite 76 behauptet, dass die Stalinschen Großbauten beweisen, dass die Technik die ökonomischen Ziele vielfach dominiere und koordiniere. Auch das ist reinster Idealismus, es ist eben der Grundirrtum der Idealisten, das Tun der Menschen aus ihrem Denken zu erklären statt aus ihren Bedürfnissen. (Vergleiche Friedrich Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,379). Als Professor der Gesellschaftswissenschaften, also als Kopfarbeiter, fällt man noch leichter in diesen Irrtum. Und in abstruse Ideen. Für Gestwa bedarf auf Seite 252 die moderne Technik „offensichtlich der Mythen. Der Technikkult steht darum für das Märchen- und Wahnhafte moderner Weltauslegungen, für ihr verzwicktes Gewebe von Täuschung und Selbsttäuschung“. Nach dieser Logik geraten wir in um so finstere Märchen, je höher die Produzenten die Technik entwickelt haben. Führt die Technik wirklich eine essentielle Substanz von Gegenaufklärung mit sich ? Ganz anders sieht es Friedrich Engels in einer Auseinandersetzung mit dem Agnostiker Kant: „Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kantschen unfaßbaren „Ding an sich“ zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche „Dinge an sich“, bis die organische Chemie sie einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das „Ding an sich“ ein Ding für uns, wie zum Beispiel der Farbstoff des Krapps, das Alizarin, das wir nicht mehr auf dem Felde, in den Krappswurzeln wachsen lassen, sondern aus Kohlenteer weit wohlfeiler und einfacher herstellen“. (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1975,276). In seiner wissenschaftlichen Betätigung steigt der Mensch vom Nichtwissen zum Wissen auf und findet die erhellenden Gesetze der Naturprozesse und der gesellschaftlichen Entwicklung. Nicht der Technikkult steht für eine Gewebe von Betrug und Selbstbetrug, sondern die Politik. (Vergleiche Lenin, Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, Werke Band 19, Dietz Verlag Berlin, 1960,9). Und auf diesem Gebiet unterläuft Gestwa ein weiterer Schnitzer. Ohne stutzig zu werden übernimmt er von Jurij Murasov auf Seite 380 die These, bei den Stalinschen Großbauten sei es sowohl zu einer Entgrenzung als auch zu einer ‚Familiarisierung des Politischen‘ gekommen. Oh ja, solche geschraubten, Eindruck auslösenden Wörter durchziehen das ganze Buch von Gestwa. Eindruck können diese jedoch nur auf unaufgeklärte Leser ausüben. Was ist denn unter dem Politischen zu verstehen ? Lenin wies uns darauf hin, dass in den modernen zivilisierten Ländern die Massen in Klassen aufgeteilt sind, diese Klassen politische Parteien hervorbringen, die „in der Regel von mehr oder minder stabilen Gruppen der autoritativsten , einflußreichsten, erfahrensten, auf die verantwortungsvollsten Posten gestellten Personen geleitet werden, die man Führer nennt. Das alles sind Binsenweisheiten. Das alles ist einfach und klar“. (Lenin, Der ‚Linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: Lenin, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,582). Das alles ist so einfach und klar, dass ein aufmerksamer Leser bei der Formulierung „Familiarisierung des Politischen“ sofort stutzig werden musste. Was soll das sein ? Familiarisierung des Klassenkampfes ? „Antigone“, die Tragödie des Sophokles, wäre um ihre Aktualität gebracht. Es ist schon erstaunlich, wenn ein Professor meint, bei dem Thema „Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus“ ohne tiefe Kenntnisse des Marxismus-Leninismus auskommen zu können und sein Buch mit Zitaten englischer und us-amerikanischer Provenienz überschüttet, als ob das letzte Wort der Gesellschaftswissenschaften gerade aus den bürgerlichen Universitäten der USA und Englands mit ihrer seichten „Stalinismus“forschung käme. Lenins These zum Beispiel, dass die kommunistische Zeitung ein Organisator des politischen und ökonomischen Lebens sein müsse, hatte er nicht, wie Gestwa auf Seite 259 behauptet, 1912 aufgestellt, sondern bereits im Mai 1901 in seiner kleinen Schrift „Womit beginnen ?“ (Siehe Lenin Werke Band 5, Dietz Verlag Berlin, 1960,11). Auch war die Sowjetunion nicht, wie Gestwa behauptet, der erste sozialistische Staat auf Erden. Warum nahm Lenin die Pariser Kommune als Vorbild für die Sowjetdemokratie ? Und weiter auf Seite 508: In den Augen der Stalinisten sei die Natur ein Klassenfeind gewesen ? ! Ich habe bisher noch kein so dickes Buch gelesen, das so wenig wissenschaftliche Substanz enthält. Heute kann man offensichtlich Professor werden dadurch, dass man sich immenses Wissen anliest, das dann so abspult, dass ein Buch herauskommt, in dem ein Zitat an eine Tatsachenbeschreibung geklebt wird … u.s.w. …und das über 577 Seiten und indem man die Dialektik von Revolution und Konterrevolution außer Acht lässt. Man kann die Geschichte Russlands und besonders die seit der Oktoberrevolution ohne diese Dialektik der Einheit und des Kampfes der Gegensätze gar nicht verstehen. Deshalb kritisiert Gestwa Kate Brown auch zu Unrecht, die in ihrer komparativen Studie aus dem Jahr 2001 „Gridded Lives: Why Kazakhstan and Montana Are Nearly the Same Place“ (American Historical Review, Nummer 106, 2001) gerade die Seite der Einheit der Gegensätze herausgearbeitet hat. Gestwa kreidet es Stalin und seiner Partei an, dass zu den Großprojekten auch Gulaghäftlinge herangezogen worden seien. Der Vorwurf hätte vielleicht (aber auch nur vielleicht, denn die Arbeit hat den Menschen geschaffen) etwas für sich, wenn in bürgerlichen Gesellschaften keine Arbeitspflicht für Strafgefangene bei Privatiers bestehen würde. Dem ist aber nicht so. Entscheidend ist, dass diese intellektuellen Barbaren den Völkern schlichtweg das Recht absprechen, Konterrevolutionäre zu bestrafen. Vergessen wir niemals den Satz Robespierres aus seiner Rede vom 5. Februar 1794 „Über die Prinzipien der politischen Moral“ : „Die Feinde des Volkes bestrafen ist Gnade; ihnen verzeihen Barbarei“.

Das Buch Gestwas ist ein Musterbeispiel, dass Quantität nicht zwangsläufig in Qualität umschlagen muss. Wir können uns durch dieses Buch nur durchquälen und müssen verwertbares Tatsachenmaterial von ideologischem Ballast separieren. Selbst wenn Gestwa einmal einen richtigen Gedanken äußert: „Das Sowjetsystem zeigte sich nach Stalins Tod merkwürdig lernunfähig“ (auf Seite 490), so erkennt er merkwürdigerweise in diesem Satz nicht, dass in ihm der Fall der Sowjetunion bereits angelegt ist. Wenn man nicht lernt, verwahrlost das Prinzip der Kritik und Selbstkritik, und das kann für eine Partei, die das Land allein regiert, tödlich sein. „Haben Sie schon Ruderer gesehen, die rechtschaffen im Schweiße ihres Angesichts rudern, aber nicht sehen, wohin die Strömung sie trägt ? Ich habe solche Ruderer auf dem Jenissei gesehen. Das sind rechtschaffene und unermüdliche Ruderer. Aber ihr Unglück besteht darin, daß sie weder sehen noch sehen wollen, daß sie von den Wellen an die Felsen geschleudert werden können, wo ihnen die Gefahr des Untergangs droht“. (Josef Stalin, Mängel der Parteiarbeit, Werke Band 10, russ.,334).